Die Idee zu dem Schwerpunkt der Ausgabe ist aufgrund einer Beobachtung entstanden. Nämlich die, dass Führungskräfte und Mitarbeitende in Unternehmen sich kaum die Zeit nehmen, um über das eigene Handeln und die Muster der Zusammenarbeit zu reflektieren. Man ist stets sehr schnell bei den sachlichen Inhalten, beim Produzieren von „produktiven“ Ergebnissen.
Jeder kennt ja auch die beliebte Aufforderung von Unternehmensleitungen „einfach mal zu machen“. Nicht viel denken und diskutieren, sondern schnell loslegen, ausprobieren. Einen Prototyp entwickeln, einen Prozess digitalisieren, ein Format ins Leben rufen.
Was man nicht kennt: die Aufforderung an die Führungskräfte und Mitarbeitenden, sie mögen doch mal innehalten, nachdenken, ihr eigenes Handeln beobachten. Oder sich mal die Zeit nehmen, sich mit der Organisation, dem eigenen Bereich auseinanderzusetzen: Wo arbeiten wir? Was ist das für ein System? In welchem Kontext bewegen wir uns? Und welche Muster prägen unser Handeln?
Zu oft wird zu schnell gehandelt, ohne den gegenwärtigen Zustand zu reflektieren. Torsten Groth weist im Interview auf ein Zitat von Niklas Luhmann hin, der einmal sagte: „Organisationen vergessen sich selbst.“ Organisationen und ihre Akteure seien sich nicht bewusst, in welchem Systemkontext sie agierten und daher nicht ausreichend in der Lage, zu erkennen, wie stark der organisationale Rahmen das Handeln prägt.
Dabei wäre das eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine nachhaltige Veränderung voranzubringen. Davon bin ich überzeugt. Und deshalb ist der Schwerpunkt dieser Ausgabe auch nicht nur einer zum „Organisationsverständnis“ im Allgemeinen, sondern ebenso einer zu einem „systemisch geprägten Change-Ansatz“ im Speziellen. Ich bin allerdings auch als systemischer Organisationsberater voreingenommen.
Nach der Systemtheorie von Niklas Luhmann werden Organisationen jedenfalls nicht mehr als unveränderliche Gebilde verstanden, sondern als lebendige, sich selbst erhaltende Systeme, die durch Kommunikation konstituiert werden. Change Management ist danach nicht einfach top-down planbar, sondern Veränderungsprozesse sind insbesondere als intern generierte Dynamiken zu begreifen, die durch Kommunikation vorangetrieben werden.
Luhmanns systemtheoretischer Ansatz ist ein wertvolles Werkzeug für das Verständnis moderner Organisationen in einer komplexen, vernetzten Welt. Für Führungskräfte, HRler und Veränderungsbegleiter in den Unternehmen lohnt es sich, sich zumindest mit den Grundgedanken dieses Ansatzes auseinanderzusetzen – wenn sie erfolgreich Veränderungen gestalten wollen.
Jan C. Weilbacher