Prüfen und anpassen
Ich finde es schon verrückt, in welcher Schnelligkeit sich dann doch agile Prinzipien, Methoden und Arbeitsweisen in der Unternehmenslandschaft etabliert haben – oder zumindest die dazugehörigen Begrifflichkeiten. War das iterative, vernetzte und selbst organisierte Arbeiten vor einem Jahrzehnt lediglich in der Software-Entwicklung gang und gäbe, ist „Agilität“ heute in jedem Konzern ein Thema. Selbst manche Versicherungen machen ihre Gehversuche mit cross-funktionalen Teams, die digitale Produkte entwickeln sollen, oder wagen sich an das Zielsystem „Objectives and Key Results“ (OKR). Die meisten Unternehmen reden jedoch nur ganz viel davon.
Die Gründe für die Popularität des agilen Arbeitens sind vielfältig. Eine wesentliche Ursache ist die zunehmende Dynamik und Komplexität des Umfeldes, in dem sich (traditionelle) Organisationen zunehmend bewegen und die es schwieriger machen, langfristig zu planen. Unternehmen sind verstärkt dazu gezwungen, auf Sicht zu fahren und flexibel zu bleiben. Sie brauchen Strukturen, Prozesse und eine Kultur, die es erlauben, schnell reagieren zu können, wenn sich plötzlich neue Bedingungen ergeben – beispielsweise Märkte wegbrechen, eine Technologie die Produktwelt revolutioniert, neue Wettbewerber in den Markt kommen oder eine Pandemie ausbricht. Die Anpassungsfähigkeit einer Organisation ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor geworden.
„Inspect and adapt“ heißt ein Prinzip im Scrum, das die Arbeitsweise prägt, aber auch eine Haltung widerspiegelt. Es geht darum, immer wieder innezuhalten, sich Feedback zu holen und dann die bestehende Arbeit anzupassen bzw. zu verbessern. Das Produkt oder die Strategie wird Schritt für Schritt entwickelt, statt alles von Anfang bis Ende bis ins Detail durchzuplanen.
Ein solches schrittweises Vorgehen macht aber weitere Voraussetzungen nötig, wie zum Beispiel Transparenz und eigenverantwortliches Handeln von Mitarbeitenden. Denn nur wenn beides in der Unternehmens- und Führungskultur gelebt wird, können schnell zielgerichtete und nutzerzentrierte Entscheidungen getroffen werden, statt darauf zu warten, bis von oben der Beschluss nach unten durchgereicht worden ist. Ich denke, dass das Bewusstsein hinsichtlich der Bedeutung der Anpassungsfähigkeit für langfristigen Erfolg bei Unternehmenslenkern und Spitzenmanagerinnen da ist. Ob allerdings allen klar ist, was Anpassungsfähigkeit als Ziel für tiefgreifende Organisationsveränderungen nach sich ziehen kann, insbesondere hinsichtlich der Kultur, würde ich bezweifeln. Von daher gilt es, viel darüber zu sprechen, zu diskutieren – und zu schreiben.
Jan C. Weilbacher, Redakteur