Loslassen, auch wenn es wehtut
Ich würde denken, dass die meisten Innovation erst einmal gut finden – in der Wirtschaftswelt genauso wie in den Familien. Gerade in Pandemiezeiten wollen beispielsweise meine Kinder immer wieder etwas Neues geboten bekommen. Ich weiß nicht, wie viele Spiele ich mir schon im Lockdown ausgedacht habe. Meine Kinder sind auch stets zunächst offen, wenn ich ein Brett-, Karten-, Kletter- oder Verkleidungsspiel präsentiere. Auch in der Wirtschaft trifft man mit dem Thema Innovation zunächst auf offene Ohren. Schließlich sind neue Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle, die einen echten Mehrwert bieten, die Basis für Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg. Und in Zeiten, in denen Branchengrenzen verschwimmen, ist die Fähigkeit zur Innovation noch wichtiger geworden. Und ohnehin: Innovation gilt als sexy. Was man über Effizienz und Kostenführerschaft nicht unbedingt sagen kann. Kurzum: Wenn die Geschäftsführung eines Unternehmens heute sagt, man wolle zukünftig innovativer sein, wird sie von überall ein zustimmendes Kopfnicken bekommen – aber was dann? Es gibt nämlich einen Haken: Denn bei der Innovation ist es so ähnlich wie mit der eng verknüpften Fehlerkultur: Jede Führungskraft will sie und macht sich stark für sie, doch wenn sie wirklich gelebt werden soll, sind schnell die kulturellen Barrieren sichtbar. Zum Beispiel ist jedem bewusst, dass Freiraum für Mitarbeitende ein Erfolgsfaktor für Innovation sein kann: um auszuprobieren, Ideen zu spinnen, zu experimentieren. Jedoch braucht es hierfür eine entsprechende Führungs- und Unternehmenskultur. Und nötig sind ebenfalls Strukturen und Prozesse, die die kreative Arbeit erleichtern sowie beispielsweise das Testen von vielversprechenden Prototypen ermöglichen. Wenn es aber darum geht, dafür zeitliche und personale Ressourcen freizumachen, sind viele Führungskräfte nicht mehr so mutig. Mut ist entscheidend: den Mut, Mitarbeitende machen zu lassen, den Mut, etwas zu wagen, aber auch den Mut, loszulassen. Man muss in der Lage sein, zum Beispiel lieb gewonnene Prototypen oder Ideen wieder fallen zu lassen, weil die Nutzer sie nicht wollen oder um sich ab einem bestimmten Punkt auf eine Ideen-Variante zu fokussieren. Und wenn man eine Idee beerdigen muss, die man geliebt hat, geht es trotzdem weiter – halt nur anders. Über Mut, Loslassen und andere Erfolgsfaktoren der Innovation soll es unter anderem in dieser Ausgabe gehen. Meine Kinder sind bezüglich des Loslassens von Ideen übrigens sehr konsequent – vor allem, wenn es um das Beerdigen meiner Ideen geht. „Papa, das ist langweilig“, „Wo ist Mama?“ oder „Dürfen wir etwas gucken?“, sind so typische Feedbacks, die ich zu meinen Lockdown-Spielideen bekomme. Man muss eben loslassen können, auch wenn es wehtut.
Jan C. Weilbacher, Redakteur