Als vor mehr als zehn Jahren das sogenannte Spotify-Modell populär wurde, da war die Faszination groß. Der Streamingdienst hatte aus der Anwendung verschiedener agiler Methoden ein Organisationsmodell gebaut, in dem plötzlich Begriffe auftauchten, die in der klassischen Wirtschaftswelt nicht bekannt waren: Squads, Chapter, Tribes. Das klang spannend. Spotify schien als Organisation einen Weg gefunden zu haben, um mit der steigenden Komplexität besser umzugehen.
Viele Unternehmen haben sich dieses Modell zum Vorbild genommen, um sich selbst agiler aufzustellen. Die ING Bank war eines dieser Unternehmen. Und gerade ihre Transformation hat wiederum in Deutschland besonders große Aufmerksamkeit erhalten.
Es ist verständlich, dass das „Spotify-Modell“ sich so großer Beliebtheit erfreute. Schließlich spürten alle Unternehmen, die in dynamischen Märkten unterwegs waren, schon damals ähnliche Schmerzen: zu langsam, zu umständlich, zu wenig innovativ. Und mit dem Modell schien eine Antwort auf dem Tisch zu liegen, die man nur kopieren brauchte.
Es wurde allerdings sehr schnell klar, dass es nicht so einfach ist. Jeder Kontext ist anders. Und es gilt für jede Organisation, ihre eigene Transformationsreise zu unternehmen und ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Aber dennoch bin ich der Meinung, dass jedes Framework – und auch das Spotify-Modell – erst einmal interessant ist. Es kann Ideen und Inspiration für die jeweils eigene Transformation liefern.
Ebenso lohnt es sich, „neutrale“ Frameworks heranzuziehen. Modelle, die keine Zielorganisation vorgeben oder benennen, welche Prinzipien, Prozesse und Rollen eine agile Organisation braucht. Diese Modelle wie zum Beispiel das „Drei-Schalen-Modell“ oder das „Vier-Quadranten-Modell“ helfen dabei, den ganzheitlichen Blick für die Transformation nicht zu verlieren und machen deutlich, dass bei einer Transformation verschiedene Dimensionen berücksichtigt werden müssen und dass es zwischen diesen Abhängigkeiten gibt.
Wenn also aufgrund eines Frameworks Unternehmensverantwortliche beispielsweise besser verstehen, wie ausschlaggebend die Umfeldbedingungen sind, in dem sich die Organisation bewegt und dass eine digitale Transformation nicht nur eine Frage der Technologie ist, sondern Kultur und Führung sich ebenfalls verändern müssen, dann hat ein solches Framework bereits einen großen Nutzen gestiftet.
Jan C. Weilbacher