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Deutsche Mythen

Der Anfang war voller Wunder. Aus eigener Kraft, durch ihren sprichwörtlichen Fleiß, haben die Deutschen ihr Land wieder aufgebaut. Kaum hatten emsige »Trümmerfrauen« den Schutt beiseitegeräumt, sorgte die D-Mark für volle Schaufenster. Bald brummte die Wirtschaft, und ein wohlbeleibter Minister spendierte »Wohlstand für alle«. So oder ähnlich lauten die Geschichten aus dem Wirtschaftswunderland, die bis heute erzählt werden. Es sind Gründungsmythen der Bundesrepublik: Sie überstrahlten damals die dunkle Vergangenheit. Heute wissen wir, dass vieles am »deutschen Wirtschaftswunder« weder deutsch noch wundersam war. Zum 75. Jahrestag der Währungsreform von 1948 erzählt unser Heft, wie es zum spektakulären Wohlstandsboom gekommen ist. Unsere Autorinnen und Autoren ordnen die deutsche in die europäische Hochkonjunktur ein, beleuchten den Marshall-Plan und den Siegeszug des Käfers – und fragen nach Ludwig Erhard: Der Wirtschaftsminister hat weder die D-Mark noch die soziale Marktwirtschaft erfunden und gilt trotzdem als Vater des Erfolgs.

Heute steckt Deutschland in der Rezession, die europäische Wachstumslokomotive dampft nicht mehr, und manch einer sagt den Niedergang des Wunderlandes voraus. Unser Wohlstand braucht ein neues, ein nachhaltiges Fundament. Trotzdem können uns die Fünfzigerjahre den Weg weisen. Die entscheidende Voraussetzung für den damaligen Aufstieg war eine weltoffene, in den Westen integrierte Demokratie. Wer heute Angst vor der Globalisierung schürt und die Zugbrücke einholen möchte, hat das deutsche Geschäftsmodell nicht verstanden: Ohne Zugang zu freien Märkten und ohne Zustrom von Arbeitskräften hätte es den Aufschwung West nie gegeben – und wird auch kein neues »Wirtschaftswunder« möglich sein.

Frank Werner
Chefredakteur

 

Themen im Heft:

  • Aufbau West: D-Mark, Volkswagen, Fußball: Bilder des Booms
  • Booster für das freie Europa: Mit dem Marshall-Plan helfen die USA ihren Verbündeten auf die Beine
  • Vater des Widerstandsmärchens: Die Rolle Ludwig Erhards im Nationalsozialismus bleibt umstritten
  • Die Republik rollt: Die Autoindustrie trägt den Aufschwung – und der VW Käfer fährt voraus
  • Im Osten klopfen sie Steine: Die »Trümmerfrauen«: Sind sie ein Mythos, oder gabes sie wirklich?
  • »Lieber Plan, was hast du für uns getan?« Auch die DDR erlebt ihr »Wirtschaftswunder« – trotz leerer Schaufenster
  • Das Ende des Booms: In den Siebzigerjahren schlittert Westdeutschland in die erste Wirtschaftskrise

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ZEIT GESCHICHTE 4/23 Wunderjahre

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