So fern, so nah
Am Strand von Sidon in Phönizien fing alles an: Zeus verliebte sich in die tanzende, nur mit einem Schleier bedeckte Prinzessin Europa. Der Göttervater verwandelte sich in einen weißen Stier und entführte die schöne Königstochter nach Kreta, wo sie ihm drei Söhne schenkte. Den ganzen Kontinent wollte Zeus nach seiner Geliebten benennen. In der sagenhaften Welt des antiken Griechenlands erhielt Europa nicht nur seinen Namen, sondern sein kulturelles Fundament. Blicken wir heute auf die »klassische Zeit«, auf die Blüte Athens und anderer Stadtstaaten, sehen wir uns selbst, die Anfänge unserer Demokratie, Philosophie und Wissenschaft. Geistesgeschichtlich sind die alten Griechen so etwas wie der Goldstandard: Wir rechnen mit Pythagoras, schwören mit Hippokrates und zitieren Platon, wenn wir über Vernunft und Wahrheit nachdenken. Dass unsere Wissenschaftssprache griechisch ist, daran erinnern »Delta« und »Omikron«. Ohne dass wir uns jedes Mal dessen bewusst werden: Die alten Griechen sind unter uns, auch nach 2500 Jahren. Es gibt keine andere historische Epoche, die uns so fern und zugleich so nah ist. Unser Heft erzählt die Geschichte des antiken Griechenlands von der Zeit der frühen Palastherrschaften bis zu den Perserkriegen, von den Eroberungszügen Alexanders des Großen bis zum Untergang der hellenistischen Welt.
Unsere Autorinnen und Autoren konsultieren die alten Geschichtsschreiber, deuten die Mythen und lassen archäologische Funde sprechen, bevor sie die Frage stellen, was wir von den alten Griechen lernen können – und was nicht. Allzu gerne betrachten wir die antike Welt im Goldrähmchen und blenden ihre düsteren Seiten aus. Der österreichische Kulturphilosoph Egon Friedell hat die Geschichte der Hellenen einmal als »einen einzigen großen Verwandtenmord« angeklagt – so oft und so ausdauernd haben die Griechen untereinander Krieg geführt. Auch Homers berühmte Götterdramen, die Ilias und die Odyssee, sind Epen der Gewalt. Aber sie erklärten den Griechen einst, woher sie kamen, wer sie waren. Eine solche Saga, die von eigenen Errungenschaften kündet, fehlt uns Europäern heute, vielleicht in Zeiten des Krieges noch mehr als sonst. Über den vereinten Kontinent eine gute gemeinsame Geschichte zu erzählen – das wäre etwas, das wir von den Griechen lernen könnten.
Themen im Heft:
- Wo der Mythos wohnt. Spuren des antiken Erbes in Griechenland
- Forschende Seefahrer. Im Kosmos der alten Griechen wird die Erde zur Kugel
- Demokratie gegen Oligarchie. Das Ringen zwischen Athen und Sparta führt 431 v. Chr. in den Peloponnesischen Krieg
- Die Kriegsmaschine. Sparta und seine Phalanx – der Aufstieg eines antiken Militärstaates
- »Herr, denk an die Athener«. Im Krieg gegen die Perser finden die Griechen zusammen
- Der Eroberer. Alexander der Große dringt mit seinem Heer bis zum Indus
- Die Wiege der Weisheit Von Sokrates bis Pyrrho: Die griechischen Philosophen prägen unser Denken
- Der Schlüssel zur Bildung. Wozu noch Altphilologie?
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