ZEIT GESCHICHTE Die Kirche und ihre Ketzer
Wo Dogmen herrschen, sind Kerker und Scheiterhaufen nicht fern. Und je schärfer die Linie zwischen dem rechten Glauben und der Häresie gezogen wird, desto brutaler wird der Feldzug gegen jene geführt, die auf der »falschen« Seite stehen. Die islamistischen Schlächter in Syrien und im Irak unterscheiden sich darin nicht von manchen Kreuzrittern und Inquisitoren, die im Mittelalter die Ketzereibekämpften. Auch in politischen Religionen wie dem Stalinismus kehrte das Muster wieder – so wie überall, wo die Frage nach der Wahrheit zur Frage nach der Macht wird.
Am härtesten trifft der Dogmenterror stets die Angehörigen des eigenen Glaubens. Die islamistische Gewalt richtet sich vor allem gegen Muslime. Den »Säuberungen« in der Sowjetunion fielen glühende Kommunisten zum Opfer. Und die Häretiker, welche die Kirche im Mittelalter verfolgte und bei lebendigem Leib verbrannte, waren zuallermeist Christen: Frauen wie Jeanne d’Arc ereilte dieses Schicksal und Männer wie den böhmischen Prediger Jan Hus, der vor 600 Jahren in Konstanz den Flammentod starb. Gelehrte wie Peter Abaelard mussten ihre Schriften ins Feuer werfen, und Tausende Anhänger christlicher Armutsbewegungen bangten um ihr Leben, weil sie durch ihre Kritik die reiche Kirche gegen sich aufbrachten.
Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes zeigen, welche geistlichen und weltlichen Mächte hinter dem Kampf für den rechten Glauben standen – in einer Welt, deren Gewissheiten sich aufzulösen begannen und deren eine Kirche alsbald in zwei zerfiel.» Eine Religion bedeutet Despotismus, zwei den Bürgerkrieg, aber mit dreißig Konfessionen kann man glücklich und in Frieden leben«, schrieb der große Aufklärer Voltaire. Bis heute ist dieser Friedenlängst nicht überall erreicht. Unter den Häretikern des Mittelalters finden sich viele seiner Vordenker
Christian Staas
Chefredakteur
Themen im Heft:
- Fundstück
- Kampf um den rechten Glauben: Warum die religiösen Konflikte des Mittelalters bis in unsere Gegenwart fortwirken
- Karte: Die Wege der Ketzer Wo die wichtigsten häretischen Bewegungen Europas ihre Anhänger fanden
- Das Reden der Lämmer: Über Jahre verhörten kirchliche Beamte die Bewohner des Pyrenäendorfs Montaillou
- Ihr letztes Gefecht: Der Prozess gegen die Tempelritter war einer der größten Justizskandale des Mittelalters
- Lesen verboten: Bibelübersetzungen für Laien gab es schon vor Luther – doch sie zu besitzen war untersagt
- Kein Happy End: Der Philosoph Manfred Geier im Gespräch über Religionskritik und Denkverbote
- Falsche Nonnen: Die Laiengemeinschaft der Beginen machte sich mit ihrer ungewöhnlichen Lebensweise mächtige Feinde
- Im Tal der Treuen: Der Bettelorden der Waldenser hat Jahrhunderte der Verfolgung überlebt. Ein Besuch in Norditalien
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