Gefährliche Irrlichter
Verschwörungstheoretiker glauben nicht an eine üble Laune der Natur. Das Coronavirus sei menschengemacht, sagt die Sprecherin eines Online-Senders, eine Biowaffe, gezüchtet im Labor. Und wer finanziere eines der Labore im chinesischen Wuhan? Der amerikanische Milliardär George Soros. Eins und eins klingen schon verdächtig nach zwei, da zwinkert die Moderatorin in die Kamera: »Könnte es hier einen Zusammenhang geben?« Eine Frage, die zugleich die Antwort ist: Für Verschwörungstheoretiker hängt alles mit allem zusammen, nichts geschieht ohne Grund, der Wahnsinn hat System, auch hinter dem Virus steckt ein Wille. Nur welcher?
Da ist man sich nicht ganz einig im Kreis der Erleuchteten. Impfgegner sind überzeugt, dass sie im Katalog der Pharmaindustrie blättern; selbst ernannte Ökonomen glauben an einen Hütchentrick der Banken, um das »Weltvermögen« günstig aufzukaufen oder das Bargeld abzuschaffen; Antisemiten machen Juden und Zionisten für purzelnde Aktienkurse verantwortlich; Prediger eines allumfassenden Ränk spiels wittern einen Putsch der »Weltgesundheitsregierung«. In der bizarren Welt der Verschwörungstheorien ist nichts zu weit hergeholt, um nicht behauptet zu werden, frei nach dem Motto: Je absurder der Clown, desto größer die Aufmerksamkeit. Sollte man den ganzen Zirkus also am besten ignorieren? Augenrollend über ihn hinweggehen?
Unser Heft zeigt, dass Verschwörungstheorien mehr sind als drolliger Hokuspokus. Man muss sie ernst nehmen, denn sie säen Misstrauen und Angst, schüren Feindschaft und Hass. Konspirative Mythen sind ein politisches Gift, das sich tief in die Gesellschaft frisst, sie spalten und zersetzen kann – mit ihnen ist keine Demokratie zu machen.
Das neue Heft knüpft an ein früheres an, das die Geschichte politischer Lügen und Fälschungen erzählt (3/2017). Auch Verschwörungstheorien sind Fake-News, aber häufig sind sie mehr als das: Hinter dem Wahn steht eine Weltanschauung, die geglaubt wird. Das Teuflische der Hexen, das Konspirative der Katholiken, das Weltherrschaftsstreben der Juden – es galt den Zeitgenossen als real. Von den mittelalterlichen Pogromen gegen Juden bis zu den Amokläufen der Gegenwart, die als Kreuzzüge gegen dunkle Mächte fantasiert werden: Über die Jahrhunderte hinweg ist die Geschichte der Verschwörungstheorie auch eine Geschichte mörderischer Gewalt.
Themen im Heft:
- Bund der Aufklärung
- Allein unter Feinden
- Heimliche Supermacht gesucht
- Angriff der Dämonen
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